Um Unternehmen in den EU-Ländern im Kampf gegen die US-amerikanische und chinesische Konkurrenz widerstandsfähiger zu machen, hat die Europäische Kommission einen „Wettbewerbsfähigkeitskompass“ vorgelegt. Um den wirtschaftlichen Aktivitäten der Unternehmen mehr Raum zu geben, wird Brüssel die europäischen Regeln und Vorschriften drastisch reduzieren.
Der am Mittwoch vorgestellte Kompass baut auf den Empfehlungen des im vergangenen Jahr vom ehemaligen EU-Ratskommissar Draghi veröffentlichten Berichts auf. Die Kommission erkennt an, dass Europa in den letzten beiden Jahrzehnten ins Hintertreffen geraten ist, während in den USA und China das Produktivitätswachstum schneller war. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, der EU solle sich auf „saubere Industrie“ und „Innovation“ konzentrieren. Ein besonderer Fokus wird in Brüssel auch auf die Künstliche Intelligenz (KI) gelegt.
Bereits vergangene Woche hatte von der Leyen beim Wirtschaftsforum in Davos betont, dass die EU-Staaten und die europäische Industrie – wenn sie gemeinsam vorgingen – der ausländischen Konkurrenz deutlich stärker Paroli bieten könnten.
Während mit der EU bereits zuvor festgelegte internationale Ziele für weniger Luftverschmutzung, eine sauberere Umwelt und ein gesünderes Klima eingehalten werden, sagte von der Leyen, würden zahlreiche Umwelt- und Klimagesetze gelockert oder vereinfacht. Auch für kleine und mittlere Unternehmen werden mehr Ausnahmen geschaffen.
Kritiker meinen, diese unternehmensfreundliche Haltung würde eine Rücknahme und Aufkündigung des Green Deal und der Klimagesetze in Gang setzen. Im Februar wird die Kommission Vorschläge vorlegen, um die EU-Leitlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), zum Lieferkettenmanagement (CSDDD) und zur Taxonomie um mindestens 25 Prozent zu reduzieren.
Die Europäische Volkspartei (EVP), die größte Fraktion im Europaparlament, forderte kürzlich eine zweijährige Verzögerung und eine Halbierung der beiden Richtlinien. Der neue (französische) Industriekommissar Stephane Séjourne möchte die Kettenhaftung möglicherweise sogar ganz abschaffen. „Anhaltende Verzögerungen und eine unklare Umsetzung nützen weder der Wirtschaft noch der politischen Glaubwürdigkeit“, sagte Séjourne am Mittwoch dem Handelsblatt. Unternehmen dürfen nicht im Ungewissen gelassen werden.
Der nun angekündigte Kurs wirtschaftlicher Lockerungen weist viele Ähnlichkeiten mit früheren Brüsseler Zusagen zum Abbau von Administration und Bürokratie in der europäischen Agrarpolitik auf, insbesondere im Bereich der Umwelt- und Klimagesetze. Damit reagierte die EU auf Bauernproteste in vielen EU-Ländern. In zwei Wochen wird der neue Agrarkommissar Christophe Hansen die neue GAP-Politik vorstellen.